Es geht voran

Auch Marina nimmt mit kleinen Schritten Ihre Familie mit und erlebt so viele schöne Momente. Aber lest doch bitte selbst Ihre Geschichte:

Nachdem ich Weihnachten das erste Mal als Frau mit meiner Familie gefeiert habe war mir klar, dass dies nicht das letzte Mal bleiben wird.

Wir hatten meinem Stiefvater zu seinem 76. Geburtstag einen Besuch des Planetariums im Vonderaumuseum Fulda mit anschließendem Familienessen in seinem Lieblingsrestaurant Kneshecke geschenkt. Leider war der einzig mögliche Termin am 04. Februar. Also während ihr anderen im Brauhaus Opladen wart, war ich mit der Familie unterwegs.

Meine Mutter hatte mir schon lange vorher gesagt, dass sie gerne ihren Sohn sehen möchte. Verständlicherweise war ich nicht besonders begeistert, habe aber erst einmal zugestimmt. Am Tag vor dem Termin habe ich meine Mutter noch einmal darauf angesprochen. Ich habe sie gefragt, was denn so schlimm für sie ist, wenn Marina mit der Familie ausgeht. Sie sagte mir, dass ich so seltsam wäre, sobald ich die Perücke trage. Ich muss hier einschieben, dass ich seit Weihnachten regelmäßig als Frau mit meiner Mutter am Wochenende einkaufen gehe. Ich fragte sie daher, ob ich denn genauso seltsam in ihren Augen bin, wenn wir zusammen einkaufen gehen. Sie sagte, nein, dann nicht. Also fragte ich sie noch einmal was dann so schlimm ist wenn Marina mitgeht. Darauf hin sagte sie mir, ich solle meine Stiefvater fragen, schließlich ist es sein Abend.

Sehr zu meiner Überraschung sagte mein Stiefvater: „Mach was du willst, mir ist es egal“. Na, das lass ich mir nicht 2x sagen. Eingeladen waren dieses Mal neben meiner Stiefschwester Carola auch ihre jüngere Schwester Linda. Ich hatte Carola Weihnachten gesagt, dass sie ruhig ihre Geschwister nach und nach auf mich vorbereiten darf, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Also wusste Linda schon so ein bisschen Bescheid.

Am Samstag Nachmittag dann habe ich mich zurecht gemacht. Wobei ich mich sehr zurück gehalten habe. Ich muss ja irgendwie das Haus verlassen, ohne dass die Nachbarn etwas „Verdächtiges“ bemerken könnten. Noch wissen die Nachbarn nicht über mich Bescheid… aber kommt Zeit, kommt Rat, sagt man ja… Also habe ich angezogen: Grauer Schalkragen-Pulli, schwarze Stoffhose, flache Winterstiefeletten, Winterjacke mit Kunstpelzkragen. Dazu das bisschen Rest-Bartschatten abgedeckt (IPL sei Dank!!!) und die Augen ganz dezent betont. Meine Perücke habe ich in die Handtasche gesteckt, denn das würden die Nachbarn sofort bemerken.

Als mich mein Stiefschwester Linda so zum ersten Mal sah war sie einerseits erleichtert, andererseits auch erstaunt. Sie hatte sich vorgestellt, dass da eine Drag-Queen kommt. Stattdessen steht da eine Frau, dezent geschminkt und völlig alltagstauglich gekleidet. Im Endeffekt war sie sehr froh, dass es nur Marina und nicht die Drag-Queen ist, die da vor ihr stand.

In dem Moment wusste ich, dass ich auch meine 2. Stiefschwester für mich gewonnen habe, denn sie hat mich sofort gedrückt und wie eine Freundin begrüßt. Ab diesem Moment hat sie mich auch nur noch mit Marina angesprochen.

So sind wir also in die Stadt gefahren. In der Tiefgarage vor dem Museum habe ich dann meine Perücke aufgesetzt und wir sind zusammen ins Planetarium gegangen. Die Vorstellung kannte ich ja schon vom Besuch mit meinem Bruder im letzten November. Es war trotzdem interessant. Dann sind wir noch ins Museums-Café auf eine Tasse Kaffee/Tee, da wir bis zum Essen noch Zeit hatten.

Um 18 Uhr dann haben wir uns dann mit meinem Bruder und seiner Partnerin im Restaurant getroffen. Das Essen war wieder erstklassig und wir hatten einen schönen Abend zusammen.

Dann sind wir nach Hause gefahren und waren um 21 Uhr wieder zu Hause. Ich habe mich dann mit Linda zusammengesetzt und ihr viele meiner Bilder gezeigt, Zwei Seelen gespielt (wobei wir beide gemeinsam geweint haben) und die Videos von CSD Konstanz/Kreutzlingen gezeigt. Linda hat mir viele Fragen gestellt und ich habe sie, so gut ich konnte, beantwortet. Auch sie hatte die üblichen Vorstellungen und Vorurteile über Transgender, größtenteils einfach aus Unkenntnis.

Linda hat mich richtig spüren lassen, dass sie durchaus die Schwester sieht, nicht nur den „verkleideten Mann“.

Das wichtigste aber war, als ich meine Mutter fragte, wie denn der Abend für sie war. Meine Mutter sagte mir, dass es ein sehr schöner Abend war. Ich fragte sie, ob ich in ihren Augen wieder so „seltsam“ war. Sie sagte nein, dieses Mal war ich ganz anders.

Mir ist klar, dass diese Situation für meine Mutter nicht gerade leicht ist. Auch ich war immer unsicher in ihrer Gegenwart. Und deshalb denke ich, dass ich mich „seltsam“ benommen habe für meine Mutter. Dieses Mal aber habe ich mich völlig sicher gefühlt. Denn sowohl Linda, Carola als auch Sarah, die Partnerin meines Bruders, haben mich immer mit Marina angesprochen. Ich war einfach ich, ohne Angst, ohne Zweifel. Und deshalb denke ich, war es auch für meine Mutter in Ordnung.

Alle anderen, meine Mutter, mein Stiefvater und mein Bruder sprechen mich (noch) mit meinem Männernamen an. Ich mache mir nichts daraus, denn ich weiß, irgendwann kann sich auch das ändern. Irgendwann… denn ich bin hartnäckig und gebe nicht so schnell auf.

Am Sonntag dann sind meine beiden Schwestern abgereist und wir haben uns von einander verabschiedet wie das nur Schwestern tun. Es ist ein schönes Gefühl, dass ich immer mehr durch die Familie akzeptiert werde. Auch wenn noch nicht alle in der Familie Bescheid wissen, es wird irgendwann kommen, früher oder später, da bin ich mir sicher. Genauso wie ich irgendwann auch meine Nachbarn einweihen werde. Doch noch ist dazu nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Aber der Zeitpunkt wird kommen…. und ich bin mir sicher, es wird nicht mehr lange dauern.

Viele Grüße
Marina

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