Beim Gendertreff kommen Trans-Menschen zusammen

Beim Gendertreff kommen „Trans*Menschen“ zusammen, um sich über Probleme auszutauschen.

Im falschen Körper zur Welt gekommen | IKZ-Online.de – Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung.

 

Mit freundlicher Genehmigung der IKZ, Funke Medien NRW GmbH.

DerWesten/

 

 

Iserlohn

Bei einer Tasse Kaffee beziehungsweise Tee sitzen sie an diesem Nachmittag in dem mit Orchideen und ansprechenden Bildern ausgestatteten Büro. Die beiden Frauen sind in ihr Gespräch vertieft. Soweit nichts Ungewöhnliches, eine Szene wie sie täglich tausendfach geschieht. Jedoch ist hier etwas anders, denn Chrissie und Helen sind nicht als Frauen zur Welt gekommen, sondern in männlichen Körpern. „Transgender“ oder „Transsexuell“ lautet die wissenschaftliche Bezeichnung, Helen und Chrissie hören lieber „Trans*Menschen“. Als „komplizierten Weg“ beschreibt Helen ihr Leben. Schon mit elf, zwölf Jahren bemerkte sie, dass „irgendwas nicht in Ordnung ist“. Was, das war ihr viele Jahre nicht bewusst. Allerdings begann sie aus der Unwissenheit heraus, mit 16 Jahren zu trinken. „Der Alkohol tat mir ganz gut“, sagt sie leise. Die heute 55-Jährige unterdrückt ihre Identität lange, heiratet mit 23 Jahren eine Frau. Die erlebt Hendrik, so hieß Helen einst, immer häufiger betrunken, sucht nach Flaschen – und findet dabei, ganz hinten im Schrank, bei ihrem Mann plötzlich Frauenkleider. „Wir haben uns auseinander gelebt, meine Frau ist dann ausgezogen“, erzählt Helen, die weiter trank. Sie findet schließlich wieder den Weg in die Mendener Suchtberatung, wo inzwischen bekannt ist, dass Hendrik im falschen Körper geboren wurde.

 

Aus Hendrik wird zusehends Helen

„Vom ersten Tag der Therapie an habe ich gewusst: Jetzt fängt mein neues Leben an.“ Hendrik wird zusehends zu Helen, die zunächst bei einer Selbsthilfegruppe in Köln Unterstützung findet. Ab Juni 2012 ist sie trocken, geht den Wandel immer offensiver an. Ein Jahr später gerät sie in Münster an die passenden Ärzte, beginnt 2014 eine Hormontherapie. Die Personenstandsänderung lässt nicht lange auf sich warten. Stolz über das Erreichte geht sie zur Lokalzeitung, outet sich öffentlich. „Sie müssen sich vorstellen, dass ich in einem Dörfchen wohne. Wenn man offen damit umgeht, funktioniert das auch“, weiß Helen.

Anders verlief die Geschichte von Chrissie, ebenfalls 55 Jahre alt. Sie ist nach wie vor mit einer Frau verheiratet die die „Trans*Frau“ an ihrer Seite akzeptiert. Jedoch gehen die beiden mit Blick auf ihre Berufe nicht ganz so offensiv damit um wie Helen. Nach einem ersten, vorsichtigen Outing bei einem sehr guten Freund erfährt Chrissie zunächst Ablehnung. „Er hat ungefähr fünf Jahre gebraucht, bis er damit umgehen konnte“, sagt sie. 2008 sucht sie sich eine Selbsthilfegruppe, wird in Düsseldorf fündig. „Ich habe aber die ganze Zeit gedacht, dass sowas – auch wenn die Sauerländer anders sind als die Rheinländer – hier ebenfalls möglich sein müsste“, erinnert sie sich. Als sie dann von Helen liest, ist der Anstoß da, in Iserlohn den Gendertreff ins Leben zu rufen.

„Infos fehlen bei ,Trans*Menschen’ und der Bevölkerung gleichermaßen“, weiß Chrissie. So kommen seit Jahresbeginn regelmäßig Männer und Frauen zusammen, die noch im falschen Körper stecken oder dies bereits hinter sich gelassen haben. „Wir treffen uns bewusst in öffentlichen Bereichen, um allen Seiten zu zeigen, dass alles ganz normal ist und wir nichts mit Travestie zu tun haben“, so Chrissie, die ihren unerfahrenen „Schützlingen“ häufig dazu rät, es beim Outfit nicht zu übertreiben. „In der Öffentlichkeit kommt es immer darauf an, wie man selbst mit dem Thema umgeht und zu sich selbst steht, entsprechend reagieren die Mitmenschen.“

 

Neben den öffentlichen Treffen gibt es immer auch geschlossene Info-Abende. „Man kann schlecht in einem Café über eine Operation sprechen“, sagt Chrissie, die für sich selbst noch keine Entscheidung zur geschlechtsangleichenden OP getroffen hat. Allerdings nimmt auch sie seit einem halben Jahr Hormone, um das Wachstum der Brust und eine weiblichere Fettverteilung zu fördern. Chrissie und Helen kennen die Probleme, beispielsweise die Verweigerung der Krankenkassen, was bestimmte Methoden der Haarentfernung angeht, oder die Risiken der OP, bei der für „Trans*Männer“ (Frau-zu-Mann-Transsexuelle) unter anderem auch Hauttransplantationen erforderlich sind. Helen steht der wichtige Schritt der geschlechtsangleichenden OP dieser Tage bevor. Sie kann es kaum abwarten, endlich zur „richtigen Frau“ zu werden.

 

Erste Reaktion der Mutter: Was sollen Nachbarn sagen?

Bis auf fragende Blicke hätten sie noch nie derbe Ablehnung erfahren, sind sich die beiden einig. Ganz im Gegenteil: Helen war bereits als Hendrik selbstständig im Bereich der Autopflege tätig, seit dem Outing ist der Zuspruch nach eigenen Angaben noch größer. „Die erste Reaktion meiner Mutter war: Was sollen bloß die Nachbarn dazu sagen? Bis auf eine befreundete Familie war das aber für alle in Ordnung.“

>> Selbsthilfetreffen

>> Zur Inhaltsübersicht