Stellungnahme des Gendertreff zu „Hedwig and the Angry Inch“

Am 11.08.2017 fragte die Off-Musical Frankfurt UG (haftungsbeschränkt) bezüglich eines Interviews an. Hintergrund war die Premiere des Stücks „Hedwig and the Angry Inch“. In diesem Rock-Musical geht es laut der Interview-Anfrage um Identitätsfindung und aktuelle Gender-Fragen.

Laut Wikipedia hat das Musical folgende Handlung:

Die „weltweit ignorierte Chanteuse“ Hedwig, die als Rock-and-Roll-Drag-Queen mit Ehemann Yitzhak und Band durch Amerika reist, erzählt dem Publikum ähnlich einer Psychotherapie ihre Geschichte.

In Ostberlin „auf der falschen Seite der Mauer“ aufgewachsen, lässt sich der androgyne Hansel Schmidt aus Liebe zu dem GI Luther in eine Frau (eben Hedwig) verwandeln, um durch Heirat aus der DDR zu kommen. Doch die Geschlechtsumwandlung läuft katastrophal schief: Das Messer des besoffenen Chirurgen erweist sich als so stumpf wie das Leben, aus dem Hansel zu entkommen versucht. Zurück bleibt jener titelgebende „Angry Inch“ – ein „zorniger Zentimeter“, der Hedwig daran erinnert, dass sie vielleicht niemals ganz zu einer Seite gehören wird.

Den 9. November 1989 erlebt Hedwig mittellos und von ihrem „Sugar Daddy“ verlassen in einem heruntergekommenen Trailerpark in Kansas. Während sich in ihrer ehemaligen Heimat die Wiedervereinigung vollzieht, ist Hedwig von ihrer inneren Einheit und geschlechtlichen Identität weit entfernt. Bei einem der Babysitter-Jobs, mit dem sie sich über Wasser hält, lernt sie einen pickligen Jungen namens Tommy Speck kennen, ein Jesus-Freak, dem sie alles über Musik und Entertainment beibringt. Sie gibt ihm den Künstlernamen „Tommy Gnosis“ und schreibt für ihn im ranzigen Wohnwagen nun Songs, die den Geist des Glam Rocks der 70er Jahre atmen und von der Suche nach Liebe und Erfüllung handeln. Das scheinbare Glück währt jedoch nicht lange und Hedwig wird erneut betrogen. Tommy Gnosis lässt sie sitzen und sich mit den gestohlenen Songs als Superstar feiern. Für Hedwig und ihre zusammengewürfelte Band bleibt dagegen nur der schale Abklatsch einer Low-Budget-Tour; der Tour von Tommy Gnosis folgend, die sie auch in das aufführende Theater führt.

Dazu nehmen wie folgt Stellung: Die Handlungsbeschreibung enthält diverse Fehler bzw. Fehlinformationen, die geeignet sind, ein völlig falsches Bild in der Öffentlichkeit zu platzieren und überdies geeignet sind, Trans*-Personen in unqualifizierter Weise zu beleidigen und zu diskriminieren. Im Einzelnen:

In Ostberlin „auf der falschen Seite der Mauer“ aufgewachsen, lässt sich der androgyne Hansel Schmidt aus Liebe zu dem GI Luther in eine Frau (eben Hedwig) verwandeln, um durch Heirat aus der DDR zu kommen.

Hier werden gleich diverse Vorurteile vermischt. Denn es wird suggeriert, dass es sich bei Trans*-Personen um schwule Männer handeln würde, die aus sexuellen Motiven eine „Verwandlung“ anstreben. Das ist jedoch sachlich in mehrfacher Hinsicht falsch.

Trans*-Personen sind nicht schwul

Heterosexualität und Homosexualität verteilen sich über die Grundgesamtheit aller Trans*-Personen ggf. abweichend um eine zufällige Streuung ebenso, wie über den Rest der Bevölkerung auch. Das bedeutet: Die sexuelle Orientierung einer Trans*-Person korreliert nicht mit der Transidentität.

Trans*-Personen sind keine schwulen Männer

In der Öffentlichkeit, manchen Medien, Musicals wie „Hedwig and the Angry Inch“ oder „Rocky Horror Picture Show“ oder auch Filmen wie „Der bewegte Mann“ wird immer wieder suggeriert, Trans*-Personen wären schwule Männer, die sich „als Frauen verkleiden“, um andere Männer als Sexualpartner zu wählen.

Leider wird in diesen Darstellungen völlig ignoriert, dass Transidentität keine auf die Sexualität des Menschen gerichtete Eigenschaft ist. Vielmehr geht es um die Geschlechtsidentität eines Menschen: Transidente Menschen erleben eine teils erhebliche Diskrepanz zwischen ihrer Geschlechtsidentität und einem als „falsch“ empfundenen Körper.

Weiter wird in derartigen Darstellungen vollkommen ignoriert, dass es sowohl Transfrauen als auch Transmänner gibt. Transmänner sind Personen, deren Identitätsgeschlecht männlich ist, die jedoch weibliche äußere Geschlechtsmerkmale besitzen. Transfrauen sind Personen, deren Identitätsgeschlecht weiblich ist, die jedoch männliche äußere Geschlechtsmerkmale besitzen. Das Bild des „Mannes in Frauenkleidern“ ist demnach sachlich falsch. Vielmehr ist es so, dass viele Trans*-Personen bestrebt sind, ihre äußere Erscheinung dem empfundenen Geschlecht anzugleichen.

Bei Transidentität geht es niemals um Sex

Die oben beschriebene Diskrepanz lässt sich anschaulich und salopp wie folgt formulieren: „Trans*-Personen fühlen sich im falschen Körper.“ Ebenso anschaulich kann man also auch sagen: „Das Phänomen Trans* findet zwischen den Ohren statt und nicht zwischen den Beinen.“

Für viele Trans*-Personen bedeutet die empfundene Diskrepanz zwischen dem körperlichen Geschlecht und dem Identitätsgeschlecht eine erhebliche psychische Belastung, die je nach dem empfundenen individuellen Leidensdruck vielfache Problematiken beinhalten kann. Dem Gendertreff sind durch seine langjährige Selbsthilfearbeit Fälle von Arbeitssucht, Sportsucht, Spielesucht, Burn-Out, Depressionen, Alkoholismus oder auch Drogensucht bekannt. Zwar muss eine Transidentität nicht zwingend mit diesen Problematiken einhergehen. Die psychische Belastung, der Trans*-Personen ausgesetzt sind, ist jedoch häufig erheblich.

In diesem Zusammenhang anzunehmen, dass jemand aus sexuellen Motiven „sein Geschlecht wechseln“ könnte, ist völlig realitätsfern. Vielmehr ist es so, dass das eigene Empfinden nicht mit dem äußerlichen Erscheinungsbild zusammenpasst. Anschaulich: Ein Mann hat eben keine weiblichen Brüste und auch keine Vagina. Ebenso hat eine Frau keinen Penis oder auch keinen Bartwuchs. Spätestens mit der Pubertät müssen Trans*-Personen jedoch mitansehen, wie sich ihr Körper in eine Richtung entwickelt, die ihren Empfindungen vollkommen widerspricht.

Dies verursacht ebenso Leidensdruck wie die Tatsache der als völlig falsch empfundenen Sozialisierung. Anschaulich: Eine Transfrau erscheint äußerlich als Mann und erlebt deshalb eine männliche Sozialisierung, die jedoch ebenfalls nicht zu ihrem Empfinden passt. Schon im Kindesalter können Transfrauen mit dem Imponiergehabe „der anderen Jungs“ nichts anfangen, werden von der Gesellschaft jedoch diesem falschen Geschlecht zugeordnet. Entsprechend haben viele Trans*-Biographien eine Außenseiter-Rolle als traurige Gemeinsamkeit.

Trans*-Personen verwandeln sich nicht

Die vorangegangenen Abschnitte deuten es bereits an: Bei Transidentität geht es nicht um eine Verwandlung. Es geht vielmehr darum, den als falsch empfundenen Körper dem Identitätsgeschlecht anzugleichen. Dies erfolgt zum einen über Kleidung und einfache Maßnahmen eher kosmetischer Natur. So binden sich Transmänner die weibliche Brust ab. Transfrauen nutzen Kosmetik, Rasur oder Epilation sowie Perücken als ersten Schritt einer äußerlichen Angleichung.

Medizinisch unterstützte geschlechtsangleichende Maßnahmen sind dann Hormontherapien und geschlechtsangleichende Operationen. Hinzu kommen geschlechtsangleichende Maßnahmen juristischer Natur. In Deutschland ist dies das Verfahren zur Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem TSG.

Alle diese Maßnahmen sind darauf gerichtet, die als falsch und belastend empfundenen äußerlichen Geschlechtsmerkmale dem Identitätsgeschlecht anzugleichen. Eine „Verwandlung“ findet niemals statt – und schon gar nicht aus den in der Handlung des Musicals „Hedwig and the Angry Inch“ beschriebenen Motiven.

Doch die Geschlechtsumwandlung läuft katastrophal schief: Das Messer des besoffenen Chirurgen erweist sich als so stumpf wie das Leben, aus dem Hansel zu entkommen versucht. Zurück bleibt jener titelgebende „Angry Inch“ – ein „zorniger Zentimeter“, der Hedwig daran erinnert, dass sie vielleicht niemals ganz zu einer Seite gehören wird.

Geschlechtsumwandlung?

Wie zuvor bereits erläutert, ist der Terminus Geschlechtsumwandlung sachlich falsch. Richtig ist, von geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu sprechen.

Weiter verwahrt sich der Gendertreff davor, die Geschlechtsangleichung lediglich mit einer Operation äußerlicher Geschlechtsmerkmale gleichzusetzen. Denn wie erläutert bedeutet die Angleichung an das Identitätsgeschlecht auch eine Angleichung auf juristischer und sozialer Ebene.

Angry Inch?

Die Vorstellung des besoffenen Chirurgen mit dem stumpfen Messer ist eine realitätsferne Groteske. Auch ist es nicht so, dass überhaupt ein „zorniger Zentimeter“ als Rest einer schiefgelaufenen geschlechtsangleichenden Operation „stehen bleiben“ könnte.

Die hier angedeutete geschlechtsangleichende Operation für Mann-zu-Frau-Transidente verläuft so, dass eine Neo-Vagina gebildet und mit Teilen des Penis modelliert wird. Es wird demnach nichts „abgeschnitten“, sondern – ähnlich salopp formuliert – „umfangreich umgebaut und nach innen verlagert“. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den auf der Gendertreff Plattform hinterlegten Artikel zu entsprechenden Operationstechniken.

Aus dem Leben entkommen?

Wer sich geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterzieht, um einer als unbefriedigend empfundenen Lebenssituation zu entfliehen, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht transident und handelt überdies grob fahrlässig. Nicht zuletzt deshalb ist die Angleichung an das Identitätsgeschlecht auf medizinischer Ebene an eine umfangreiche Diagnostik gebunden, mit der z.B. eine Realitätsflucht oder Schizophrenie ausgeschlossen werden soll.

Die im Musical „Hedwig and the Angry Inch“ beschriebenen Motive zur Durchführung geschlechtsangleichender Maßnahmen sind sämtlich den Phantasien eines über die Thematik Trans* völlig uninformierten Autors entsprungen. Sie entsprechen nicht der Realität und sind vielmehr geeignet, Trans*-Personen in diffamierender Weise zu verunglimpfen.

Niemals ganz zu einer Seite gehören?

Die Handlungsbeschreibung aus der Wikipedia suggeriert, dass der verbliebene Rest eines männlichen Penis geeignet wäre, das Geschlecht eines Menschen zu definieren. Abgesehen davon, dass wir schon ausgeführt haben, dass das Vorhandensein des „angry inch“ medizinisch gesehen realitätsferner Unsinn ist wird hier unterstellt, dass die empfundene Geschlechtsidentität in irgendeiner Verbindung mit dem Vorhandensein äußerer Geschlechtsmerkmale stehen könnte. Das ist sachlich ebenso falsch wie die Vorstellung, dass Transidentität in irgendeinem Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung stehen könnte.

Stimmen aus dem Gendertreff-Team

Ava sagt dazu:

Als ich die Zusammenfassung der Handlung in der Wikipedia gelesen habe, habe ich Wut und Ekel verspürt. Wieder einmal werde ich öffentlich auf etwas reduziert, das ich nicht einmal ansatzweise empfinde. Es geht bei Transidentität eben gerade nicht um Sex und ebenso wenig um Homosexualität.

Ich selber stehe z.B. auf Frauen – also CIS-Frauen, wie man politisch korrekt sagen müsste. Demnach wäre ich entweder ein heterosexueller Mann mit weiblichem Identitätsgeschlecht oder eine lesbische Frau, die in einem Männerkörper leben muss. Aber mit dem, was in der Musical-Handlung beschrieben wird, habe ich und hat mein gesamtes Leben nichts zu tun. Das ist völlig realitätsfern.

Aus einer Vielzahl von persönlichen Gründen lebe ich mein Identitätsgeschlecht derzeit in Teilzeit aus. Das Ausleben meines Identitätsgeschlechts ist in keiner Weise sexuell motiviert. Ich kenne auch keine andere Trans*-Person, bei der das der Fall wäre. Ich frage mich deshalb, weshalb immer wieder derartiger Blödsinn in die Welt gesetzt wird.

Ich empfinde das als schwere Beleidigung. Es ist eine Behauptung falscher Tatsachen, eine schwerwiegende Diffamierung, die geeignet ist, massive Diskriminierungen hervorzurufen. Derartige Diffamierungen setzen Vorurteile in die Welt, die Trans*-Menschen in ihren Familien, ihren Freundeskreisen und im beruflichen Umfeld erhebliche Probleme bereiten können.

Chrissie sagt dazu:

Ich bin traurig und gleichzeitig wütend, wenn ich solche Vorurteile hören oder lesen muss. Leider werden auch in der oben zitierten Handlungszusammenfassung uralte Klischees aus der Schublade geholt, um das Musical anzupreisen. Dass diese Werbung aber ganze Menschengruppen diffamiert und viel Aufklärungsarbeit der Trans* -Menschen unterläuft scheint egal zu sein, Hauptsache, die Unterhaltungsindustrie generiert Umsätze.

Traurig bin ich, dass diese Klischees immer noch nicht ausgerottet werden konnten und wütend bin ich darüber, dass – anscheinend ohne groß zu recherchieren oder nachzudenken – auf Kosten einer Gruppe von Menschen, die schon mehr als genug damit zu tun haben gegen Vorurteile und damit verbundener Ablehnung oder gar Hass anzukämpfen versucht wird, Profit zu machen.

Ich hätte mir gewünscht, dass der Autor im Vorfeld Kontakt zu Trans* Organisationen aufnimmt und ein Musical über die – teilweise sehr schweren – Lebenswege der Betroffenen schreibt.

Ich selbst bin Transfrau, seit 30 Jahren glücklich mit meiner Frau verheiratet und seit diesem Jahr endlich auch rechtlich als das anerkannt, was ich seit meiner Geburt bin: Als Frau.

Was geschlechtsangleichende Operationen anbelangt: Wir haben eine Fehlbildung, vergleichbar z.B. mit Fehlstellungen der Beine, durch die eine Person nicht laufen kann. Durch eine geschlechtsangleichende Operation wird diese Fehlbildung korrigiert, genauso wie die Fehlstellung der Beine, damit diese Person dann laufen kann.

Vielleicht kann das folgende Beispiel helfen, die Situation besser zu verstehen: Wenn Sie ein Mann sind stellen Sie such vor, sie hätten in ihrer Jugend Brüste bekommen und nur einen extrem kleinen Penis, und sie müssten so in die Sauna oder schwimmen gehen und werden vielleicht schon von klein auf deswegen gemobbt. Oder wenn Sie eine Frau sind: Es haben sich keinerlei Brüste entwickelt, dafür aber eine extrem grosse Klitoris, so dass sich eine Beule bei enger Kleidung abzeichnet. Sie würden sicher extrem leiden und sobald wie möglich eine Operation durchführen lassen. Nicht anders verhält es sich mit der geschlechtsangleichenden Operation.

Xenia sagt dazu:

Auch in der ehemaligen DDR gab es Regelungen in Bezug auf die Angleichung an das Identitätsgeschlecht. Dazu findet man hier oder auch hier weitergehende Informationen. Zudem haben mir dies auch Personen, die vor der Wende in der ehemaligen DDR gelebt haben, auch in persönlichen Gesprächen bestätigt.

Homosexuelle Männer haben sich garantiert nicht geschlechtsangleichenden Maßnahmen wie Operationen unterzogen, denn sie sind ja keine Frauen sondern Männer und wollen es auch bleiben. Im Iran soll es allerdings gängige Praxis sein, die Möglichkeit einer geschlechtsangleichenden Operation in Betracht zu ziehen, da Homosexualität dort verboten ist. Hier sind jedoch wohl eher politische Repressalien der Grund so etwas wie „das kleinere Übel“ zu wählen. Mit Transidentität hat das jedoch nichts zu tun.

Die Vorstellung, dass man einfach durch eine Heirat aus der DDR auswandern konnte, ist realitätsfern. Wenn überhaupt, dann nach vielen Anträgen und mit viel Geduld. Ich kenne einen Fall aus meinem persönlichen Umfeld aus der Zeit meiner Berufsausbildung. Der ehemalige Kollege hatte in der DDR seine Traumfrau kennengelernt und sie wollten heiraten. Ihm wurde angeboten, Staatsbürger der DDR zu werden, was er jedoch ablehnte. Er ließ nicht locker und seine Partnerin wurde im beruflichen Umfeld schikaniert, indem man sie zwar offiziell auf ihrer Arbeitsstelle beließ, sie jedoch dort keine Arbeiten mehr verrichten durfte. Ihm wurde derweil mehrfach die Einreise verweigert. Erst nach zwei Jahren hatten sie es geschafft: Die Partnerin erhielt einen Brief, nach dem sie binnen 24 Stunden die DDR verlassen musste. Sie verließ daraufhin die DDR und die beiden wurden in der Bundesrepublik Deutschland ein glückliches Paar.

Was soll ich noch zu dem Theaterstück sagen? Ja, das ist ein Theater. Das hat nichts mit Trans* zu tun, wird aber wohl offensichtlich so verkauft. Oft genug nimmt die Gesellschaft derartigen Unsinn für bare Münze und wir können wieder dagegen ankämpfen. Ich hoffe nur, dass dieser Quatsch keine vollen Häuser erhält. Es ist traurig, wieviel Unsinn völlig unreflektiert verbreitet wird. Ich finde, die Autoren derartiger Stücke sollten sich vor Augen halten, dass derartige völlig realitätsferne Darstellungen geeignet sind, massive Vorurteile zu schüren.

Autoren derartiger Stücke sollten sich einmal mit Trans*-Organisationen in Verbindung setzen, sich informieren oder Fachvorträge anhören. Die Gendertreff Messe & Fachtagung würde sich anbieten.

Marina sagt dazu:

Nachdem ich mir heute mal die Zeit genommen habe mal nachzulesen, um was es denn bei „Hedwig and the Angry Inch“ eigentlich genau geht, muss ich mich den anderen in den wesentlichen Punkten anschließen.

Ganz klar ist die Geschichte wie auch alle Charaktere völlig überzeichnet, was aber an und für sich nichts Ungewöhnliches wäre. Man merkt jedoch, dass diese Geschichte von einem Amerikaner geschrieben wurde, denn es werden hier einige, nicht nur historische Fakten schlicht ignoriert.

Woher sollte wohl jemand aus den „US of A“ auch wissen, wie die Verhältnisse in der DDR waren? Dass eine Heirat keinesfalls dazu führte um aus der Knechtschaft der SED entlassen zu werden? Im Gegenteil, es ist sogar davon auszugehen, dass die Heirat staatlich gar nicht anerkannt worden wäre, unabhängig davon, wo diese tatsächlich stattgefunden haben könnte (was wenn überhaupt nur ein Ostblock-Staat gewesen sein könnte). Auch dass die Person mit erheblichen bis zu extremen Repressalien durch den SED-Staat rechnen musste, wie Xenia schon geschrieben hat.

Unzweifelhaft wurden auch in der DDR geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt; dass diese OP jedoch von einem betrunkenen Chirurgen mit stumpfem Skalpell gemacht wurden, ist schlicht lächerlich. Geschlechtsangleichende Operationen können auch schief gehen und zu erheblichen Komplikationen führen, das ist unzweifelhaft. Wir kennen aus unserer Selbsthilfearbeit leider auch ein paar solcher Fälle. Jedoch ist in keinem dieser mir bekannten Fälle ein solches schuldhaftes Versagen eines Arztes die Ursache für die Komplikationen. Der Autor dieser Geschichte hat dies wohl als Detail eingebaut, weil er wohl dachte, es wäre lustig. Das ist es für mich ganz sicher nicht. Es zeigt nur, wie ignorant der Autor gegenüber der deutschen Mentalität ist. Wie diese tatsächlich ist, brauche ich wohl hier nicht explizit auszubreiten.

Es werden mal wieder die schlimmsten Stereotypen verwendet: Drag-Queen, Show-Geschäft, Selbstdarsteller, Homosexualität usw. Es sind genau die Dinge, die wir immer wieder versuchen aus den Köpfen der Leute zu bekommen, weil sie genau diese Liste mit Transidentität assoziieren. Ich will mich nicht wiederholen, denn die anderen, die hierzu schon geantwortet haben, haben dies schon sehr klar dargelegt.

Man mag vielleicht argumentieren, dass das Stück 1998 geschrieben wurde und das „damals“ noch vieles anders war, doch das war es nicht. Unzweifelhaft waren wir Transgender 1998 noch nicht so in der Öffentlichkeit sichtbar wie wir es heute sind, aber auch vor fast 20 Jahren gab es genauso viele von uns wie es heute sind. Der große Unterschied ist, dass oftmals nur jene öffentlich sichtbar waren, die sich in dem in der obigen Liste beschriebenen Umfeld zuhause gefühlt haben. Alle anderen haben ihre Transgendereigenschaft heimlich ausgelebt und ein völlig „heteronormatives Leben“ für die „Öffentlichkeit“ gespielt. Oder aber sind sie nach Ihren anpassenden Maßnahmen völlig untergetaucht und haben irgendwo in einer fremden Stadt ein neues Leben angefangen. Wir kennen beide Fälle, wobei der erste Fall der weitaus häufigste ist. Dieser 1. Fall erklärt auch, warum so viele von uns erst in der 2. Hälfte ihres Lebens den Schritt wagten, endlich das richtige Leben zu leben. Ich selbst zähle zweifellos auch dazu.

Vielleicht mag ja der eine oder andere es amüsant finden, sich dieses Musical anzusehen. Vielleicht ist es auch für die eine oder andere von uns eine Gelegenheit, sich im Identitätsgeschlecht in die „Öffentlichkeit“ zu wagen, weil es ja scheinbar ein geschützter Bereich ist. Sicherlich ist es auch für manche Person eine Gelegenheit, gewisse fetischistische oder autogynophile Neigungen auch mal öffentlich auszuleben. Bei mir jedoch hinterlässt es nur einen schalen Nachgeschmack.

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