Xenia am Arbeitsplatz

Kurz nach meinem 10-Jährigen Firmenjubiläum lud ich eine Kollegin vom Betriebsrat und die AGG-Beauftragte zu einem Meeting ein. Mir war flau im Magen und so trafen wir uns in einem der freien Konferenzräume. Ich stammelte los und schwups war es raus – Ich hatte mich als transidente Person geoutet. Alles war vorher mit meiner Frau gut vorbereitet. Die Reaktion war, wie ich gehofft hatte, super positiv. Parallel zu dem Gespräch in der Firma hatte ich bereits meine Unterlagen an das Amtsgericht geschickt und seit ca. einem halben Jahr nahm ich bereits Hormone. Meine Kolleginnen sprachen mir ihren Respekt aus und wir trennten uns nach ca. einer 3/4 Stunde.  Ich flatterte immer noch am ganzen Körper.

Zurück im Büro, natürlich mit Pokerface, saß ich keine viertel Stunde am Schreibtisch, da stand auch schon die AGG-Beauftragte wieder neben mir und meinte, dass wir uns doch gleich noch mal zusammensetzen sollten. Diesmal gleich mit der Geschäftsleitung und dem Vorgesetzten, sonst wäre erst wieder in 4 Wochen ein Termin frei um alle zusammen zu bringen. Also saßen wir wieder in dem besagten Konferenzraum, aber diesmal in einer größeren Runde. Ich erzählte meine Geschichte und zeigte Alltagsbilder von mir. Niemand hatte ein Problem und alle hatten Respekt vor meinem Mut.

Wir gingen dann auch gleich in den nächsten Tagen an die Planung. Wie bringen wir es ins Unternehmen und wann geht es los. Wir guckten uns ein verlängertes Wochenende mit Brückentag aus, ca. 4 Wochen nach den Gesprächen. Diese 4 Wochen waren zugegeben für alle Beteiligten die schlimmste Phase.

Meine Frau und ich hatten eine eMail verfasst, die an meinem letzten Arbeitstag zusammen mit einer Erklärung der Geschäftsleitung an alle Kollegen und Kolleginnen gesendet werden sollte. Ich verschwand in den Kurzurlaub und alle Mitarbeiter bekamen etwas „spannendes“ zu lesen. Gerne hätte ich Mäuschen gespielt.

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

beigefügt möchten wir Ihnen heute einen offenen Brief Ihres Kollegen übersenden. Bitte nehmen Sie sich die Zeit, um diesen in Ruhe zu lesen. Wir möchten unterstreichen, dass die Firma die Entscheidungen und die kommenden Änderungen voll mitträgt und unterstützt. Auch Sie möchten wir alle bitten, das Thema mit Respekt und Toleranz zu behandeln. Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass die Firma in diesem Sachverhalt keine Diskriminierung akzeptieren wird.

Wir hoffen auf Ihr Verständnis und danken – auch im Namen Ihres Kollegen – für Ihre Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen
Präsident, Personalchefin, Abteilungsleiter, Teamleiter

[Offener Brief im Anhang]
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
viele von Ihnen kennen mich als langjährigen Mitarbeiter der Firma. Ich bin gerne in diesem Unternehmen tätig und hatte im Juli dieses Jahres mein 10-jähriges Dienstjubiläum. Was Sie nicht wissen konnten und können, ist wie es in mir aussieht. Mein Leben lang schlummerte etwas in mir, was mir früher auch nicht klar war, aber ich endlich seit 2004 zulassen kann.

Ich bin Transsexuell und lebe privat seit meinem Outing 2004 fast ausschließlich nur noch als Frau, seit Anfang dieses Jahres zu 100%. Hier im Unternehmen verkleide ich mich quasi als Mann. Durch eine Therapeutin erfahre ich professionelle Unterstützung. Meine Familie und Freunde stehen zu mir und unterstützen mich. Ganz wichtig für mich ist es, dass meine Frau und mein Sohn auch die weiteren Schritte mittragen werden.

Die AGG-Beauftragte und der Betriebsrat, sowie die Personalabteilung und direkten Vorgesetzten sind unterrichtet, dass ich in Zukunft als Frau hier meine Tätigkeit weiter ausüben werde. Auch dieser offene Brief entstand in einvernehmlichen Gesprächen. Der Antrag zur Personenstandsänderung wurde beim Amtsgericht Düsseldorf eingereicht und es bedarf nun noch einiger Gutachten und Formalitäten, bis die Änderung rechtskräftig ist.

Die meisten von Ihnen werden sich mit diesem Thema noch nicht auseinander gesetzt haben, deshalb müssen wir uns gegenseitig die Zeit nehmen und geben, um sich aneinander zu gewöhnen. Gerne stehe ich für Fragen zur Verfügung.

Ich hoffe, dass das gute kollegiale Verhältnis zu Ihnen weiter bestehen bleibt und Sie mich als Frau genauso akzeptieren wie vorher als Mann. Sie werden eine ausgeglichene Kollegin bekommen, aber ich werde der gleiche Mensch bleiben wie vorher.

Ich freue mich auf weitere Jahre der Zusammenarbeit.

Vielen Dank
Xenia
[/Offener Brief]

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Nach dem langen Wochenende war dann Xenia`s Premiere. Mit leicht wackligen Beinen betrat ich mein Büro. Für den ersten Arbeitstag hatte ich Strumpfhose, Jeanshose, ein helles Longshirt und Pumps mit einem leichten Absatz angezogen. Ich war leicht geschminkt und die Haare brauchten nur noch entsprechend geföhnt zu werden, denn die Länge stimmte bereits. Ich öffnete meine eMails und staunte nicht schlecht über die vielen positiven Reaktionen aus dem Unternehmen. Der Höhepunkt aber war eine Torte in Herzform mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen Xenia“ von einer Kollegin. Ich verlor kurz die Fassung. Dann versuchten alle einen normalen Arbeitstag zu verbringen.

Das aber scheiterte daran, dass ich im Gebäude, im Laufe des Tages, immer wieder  umarmt wurde oder mir mit Handschlag gratuliert wurde. So ging der erste Tag zu Ende.

Ein halbes Jahr später sagte mein damaliger Chef zu mir, dass man es auch an meiner Arbeitsleistung merken würde, dass ich nun glücklich, zufrieden und befreit bin.

Ich durchlief eine pubertäre Phase (Hormone) und ca. 2 Jahre nach dem Outing im Betrieb bekam ich einen Termin zur geschlechtsangleichenden Operation. Wir sprachen uns ab und ich konnte den Termin in der Uniklinik Essen bestätigen. Nach ca. 6 Wochen war ich wieder einsatzbereit.

Zwischenzeitlich hatte der Chef gewechselt und ich hatte wohl in den letzten Wochen einigen Bockmist verzapft, so dass mein Chef und ich aneinander gerieten. Mein neuer Chef musste sich auch noch einarbeiten und so drehte sich jeder um sich selbst. Meine 2. OP folgte ein paar Wochen später.

Wieder im Betrieb gingen mein Chef und ich uns ein wenig aus dem Weg. Das funktionierte gut, weil einer meiner Kollegen nun Teamleiter im Innendienst geworden war. Die Monate flogen so dahin und es gab hier und da auch immer mal wieder ein kurzes Gespräch über meinen Werdegang.

Nun ist das Outing bereits 6 Jahre her und das Verhältnis zu meinem Chef ist wieder gut. Es hat eine bis mehrere Aussprachen gegeben und außerdem sind Kollegen, Kolleginnen, Teamleiter und Chef sehr zufrieden mit meiner Arbeitsleistung und meiner Zwischenmenschlichkeit.

Was aber mit Kunden und Lieferanten? Dazu muss ich sagen, dass ich in der Auftragsabwicklung arbeite und auch für den Einkauf im In- und Ausland zuständig bin. Bei Kunden gibt es heute noch teilweise Aufklärungsbedarf wegen der etwas dunkleren Stimme, aber das lässt sich meist kurz erklären. Ich sage dann schon mal: „Keiner macht sich selber“, „Keiner sucht sich das aus“, „Jeder muss das Beste aus seinem Leben machen“ oder „Frau mit männlichem Migrationshintergrund“. Ein Problem gab es auf jeden Fall noch nie!

Bei Lieferanten war es ähnlich, wobei man sich ja schon einige Jahre kannte. Eigentlich alle hatten es positiv aufgenommen, egal ob im In- oder Ausland. Einige benötigten noch eine gewisse Übergangszeit und wollten meinen Mann sprechen oder fragten an, ob mein Mann nicht mehr dort arbeiten und ich jetzt die Stelle besetzen würde. Auch eMails wurden noch an die alte Adresse geschickt, die aber unsere IT-Abteilung weitergeschaltet hatte. So kam es teilweise zu lustigen und interessanten Gesprächen.

Alles in allem habe ich nur gute und positive Erfahrungen gesammelt und bin glücklich und zufrieden wie es jetzt ist. Dass mal ab und zu noch ein falsches Pronomen rausrutscht stört mich nicht. Meist regelt es sich von ganz alleine unter den Kollegen oder man überhört es schlichtweg. Aber man muss natürlich aufpassen, dass es nicht Absichtlich geschieht und in Mobbing oder Diskriminierung ausartet. Ich für meinen Teil kann das allerdings nicht bestätigen.

Da ich auch noch Sicherheitsbeauftragte im Unternehmen und viel im Gebäude unterwegs bin, schauen schon mal Handwerker oder Laufkundschaft einmal mehr hin, aber es ist alles ganz easy. Auch bei Schulungen usw. werde ich als Mensch akzeptiert, der_die einen kleinen Geburtsfehler hat. Mittlerweile ist der behoben und alles ist gut!

Xenia

 

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