Hallo Welt, 02.11.2017

Autorin: Drachenfrau

Hallo Welt,

bei all dem ganzen Tiefsinn habe ich relativ wenig über unsere Entwicklung im gemeinsamen Leben geschrieben.

Denies ist seit Februar in der HRT und sie verändert sich stark. Wir hätten nicht gedacht, dass sich die Hormone so noch auswirken würden, denn sie ist bereits 60 – also umso erfreulicher. Die Hormone bescheren uns sehr viele Abenteuer des Alltags, oft kann ich humorvoll damit umgehen und manchmal, wenn sie tiefen Schmerz und traurige Erkenntnisse erfassen, dann kann ich mich nur zu ihr kuscheln, sie spüren lassen, dass ich da bin und nach einer Weile bekrabbelt sie sich dann auch wieder langsam.
Frühere Situationen, an die sie sich plötzlich wieder erinnert, sieht sie dann in einem anderen Licht und das macht natürlich im Gefühlsleben eine ganze Menge in die unterschiedlichsten Richtungen.
Vor allem der innere Kampf, dass sie es hätte ja schon viel früher leben können und dann das Wissen darum, wie das direkte Umfeld, besonders die frühere Ehefrau reagiert hätte, dass das ziemlich schlimm gewesen wäre, geschweige denn als Kind. Manchmal ist da tiefe Traurigkeit deswegen. In dieser Traurigkeit mischt sich sehr viel, was neben dem als Junge erzogen worden zu sein, noch viel mehr schiefgelaufen ist.

Letztes Jahr hatten wir einen kleinen Funken Hoffnung, dass eventuell doch wenigstens zu Denies Tochter wieder Kontakt kommen könnte, doch das hat sich ziemlich schnell zerschlagen. Denies hat sich dann dazu entschlossen, ihren Kindern vor den Semesterferien diesen Sommer einen Brief zu schreiben und sich darin zu outen – denn sie wollte nicht riskieren, dass sie es über Dritte erfahren.
Hierzu kam keine Reaktion. Damit hatten wir auch gerechnet.
Als der Onkel ins Krankenhaus musste und es sah eine Weile nicht so gut aus, schrieb Denies noch einmal die Kinder an, dass vielleicht, um sich um ihn zu kümmern, nicht mehr allzu viel Zeit sein könnte – auch da kam keine Rückmeldung, was Denies nicht fassen konnte. Für ein paar Tage war sie sehr enttäuscht und beschloss dann, dass es wohl Zeit wäre, die Kinder endgültig los zu lassen, was natürlich alles andere als ein einfacher Prozess ist.

Ihre Cousine, die wir mal zum Kaffee nach langer Zeit wieder trafen (da lebte Dee noch als Mann), hätte trotz der Bilder, die wir ihr hin und wieder mal schickten, Denies nicht mehr erkannt, wenn ich nicht gesagt hätte „schau mal, kennst du sie?“ Ihre Antwort war glatt: „nein, ich hätte sie ohne dich nicht erkannt“. Denies gefällt das natürlich und auch dass sich ihr Körper langsam aber stetig mit verändert. Sie wird immer mehr ausschließlich als Frau wahrgenommen.

Inzwischen hat sie auch die / beantragt und der erste Termin für ein Gutachten wird wohl Mitte November stattfinden. Der Abschluss wird dann irgendwann Anfang nächstes Jahr sein.

Die Bartepilation ist auch beantragt und seit 3 Wochen ist sie bei der Logopädin. Wenn sie ihre Übungen macht, dann hört sich das für mich manchmal an, als wenn sie mit Venusianern kommuniziert, besonders wenn sie in die „Flasche blubbert“. Ich verkrümel mich dann meistens in meine kreative Werkstatt, damit sie sich auf sich konzentrieren kann, weil ich, wenn ich dabei bin, sie ständig humorvoll ablenke.

Anfang Oktober waren wir auf der Gendertreff Messe. Sie ging von einem Vortrag in den nächsten und das markanteste Ergebnis war, dass sie sich nun doch auch eine Klinik in München anschaut. Bisher ging sie davon aus, sich in Essen operieren zu lassen. In 10 Tagen sind wir auf dem Weg in die Klinik nach München. Im Januar dann das Vorgespräch in Essen.

Am vorigen Wochenende waren wir auf dem Geburtstag von Denies‘ Tante. Sie wünschte sich von mir eine Geburtstagstorte und wir tranken mit anderen Verwandten bei ihr Kaffee, gingen später zusammen essen. Die Verwandten wussten über Denies Bescheid und nur einer hatte eine Bemerkung über Denies ihre Pumps auf Lager. Da schwanke ich noch, ob es Unsicherheit oder ein Macho-Ding war.
Ich kam beim Abendessen mit Denies‘ Onkel etwas ins Gespräch, denn Onkel und Tante sind bisher die einzigen gewesen, die mit ihrer Transition nicht so gut umgehen konnten/können. Ihr Onkel sagte ganz klar, dass er es vom Verstand her nicht fassen kann. Das ist etwas, das ich sehr gut verstehe. Würde ich es allein vom Verstand her angehen, dann käme ich damit auch nicht klar. Genauso wundern sie sich, wie ich mit all dem klar komme. Ja, auch wieder verständlich, doch als das Thema für uns nun einmal da war, kam ich nicht auf die Idee, den Weg nicht mit ihr gehen zu wollen/können. Nein, damals wusste ich nicht, worauf ich mich wirklich einließ, doch das, was kam, hat nichts am Weg oder an der Gemeinsamkeit verändert.

Denies sagt manchmal: ich finde es erstaunlich, wie du mit mir umgehen kannst und das mit lebst.
Darauf antworte ich ihr: ich auch.

Wir gehen zwar bisher unseren gemeinsamen Weg unabhängig von ihrer Transition, jedoch wissen wir nicht, was uns die Zukunft bringt. Deswegen haben wir beschlossen, wenn wir wirklich auch nach der verheilten GaOp einander weiter so bejahen wie jetzt, dass wir uns noch einmal ein Eheversprechen geben und wollen noch einmal in einer schönen, wahrscheinlich keltischen Zeremonie, heiraten.

Viele Grüße,
Ulla

>> Transition

>> Inhaltsverzeichnis