Mein Fahrplan

Autorin: Comitas

Schon Anfang 2016 in meiner mit dem allerersten Posting verbundenen Vorstellung nach der Anmeldung (das war noch in der Vorgänger-Version dieses Forums) hatte ich versprochen, Euch auf dem Laufenden über meinen eingeschlagenen Weg zu halten. Ein für die schnelllebige virtuelle Welt eigentlich recht betagtes Versprechen, welches für mich dennoch unverändert seine Gültigkeit hat. Selbst wenn zwischen den Folgebeiträgen in diesem meinem Thread eben schon mal ein halbes Jahr oder mehr ins Land gehen kann…

Wie dem auch sei, nun – ich hoffe, Euch waren insofern allem voran ebenso geruhsame Weihnachtsfeiertage vergönnt wie mir – ist es also wieder ein passender Zeitpunkt gekommen, um erneut ein paar ausführliche Zeilen darüber zu hinterlassen, wie sich die Dinge im Laufe dieses Jahres für mich so weiterentwickelt haben.

Das Fundament meiner Transition in beruflicher Hinsicht stellte (siehe meine vorherigen Einträge im Forum) ja der von meiner Kanzlei zum Herbst vergangenen Jahres ermöglichte Beginn einer Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten dar. Um das Erfreulichste in dieser Hinsicht vor anzustellen: In dieser Sphäre hätte meine Transition ungebrochen echt nicht besser laufen können und das tagtägliche menschliche Miteinander, sowohl intern als auch in Bezug auf Interaktionen mit Mandantschaft, Partnerkanzleien oder sonstigen Dritten läuft bestens. Ich fühle mich insoweit zu nicht weniger als 100 % als Frau wahrgenommen und schätze es, dass mir von meinem Arbeitgeber gerade bei den typischen trans*-bezogenen Pflichtterminen bezüglich der fortgesetzten Bartentfernung, ärztlichen Check-ups usw., bei Bedarf ungebrochen verständnisvoll entgegengekommen wird.

Als gravierende Schattenseite hat mein beruflicher Alltag an den Arbeitstagen, an denen ich nicht für die Berufsschule freigestellt bin, jedoch im Prinzip fortwährend nahezu nichts mit dem einer/eines Auszubildenden gemein. Und da, um es in dieser Hinsicht auf den Punkt zu bringen, die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Art und Umfang meiner tatsächlichen Tätigkeiten – erst recht in Relation zu dem bis heute weiterhin äußerst bescheidenen Gehalt – für mich zunehmend nicht mehr darstellbar sind, bin ich zu dem Entschluss gelangt, dass ich meine berufliche Zukunft nach Ende der Ausbildung lieber woanders suchen möchte.

So überschaubar diese Aussichten auf dem Papier bzw. auf den ersten Blick nahezu unverändert auch anmuten mögen, das soll es – oder besser: das soll ich es – mir wert sein.

Eigentlich hätte nicht viel gefehlt, dass ich die Abschlussprüfung schon Anfang dieses Monats nach folglich weniger als knapp eineinhalb Jahren Ausbildungsdauer geschrieben hätte. Schließlich wäre die dafür erforderliche nochmalige Verkürzung der Ausbildung bis vor kurzem sogar eher eine bloße Formalität gewesen. Doch die Hürden für die erforderliche Darlegung der weiteren Verkürzungsgründe wurden von der örtlichen RAK überraschend erst neulich über den sehr guten Notendurchschnitt in der Berufsschule und das prinzipielle Einverständnis des Ausbilders hinaus derart angehoben, dass ich da selbst am Ende selbst vorzeitig und völlig entnervt einen Rückzieher gemacht hatte.

In der Folge sieht der pragmatisch angepasste „Fahrplan“ für mich deshalb derzeit so aus, dass ich mich eben lieber mit dem darauffolgenden Termin für die Abschlussprüfungen Anfang April zufrieden gegeben habe, an dem ich indes nachgerechnet auch gerade mal siebzehn fortlaufende Ausbildungsmonate hinter mir haben werde. Das nimmt sich alles zeitlich also zum Glück nicht wirklich viel.

Doch um explizit noch einmal auf die Berufsschule zu sprechen zu kommen: Mit diesem Teil der Ausbildung ging es seitdem ebenfalls nicht minder planmäßig voran und zur Belohnung hielt ich erfreulicherweise vor den Sommerferien (Halbjahreszeugnisse für die von der Ausbildungsgangleitung so getauften „Schnellläufer-Klassen“ wie meine gibt es an diesem Berufskolleg im 1. Ausbildungsjahr üblicherweise nicht) ein von den Noten her sehr gut ausgefallenes Zeugnis in den Händen. Nicht zuletzt unweigerlich schon deshalb ein ganz besonderer Moment für mich, weil mir in Form dieses Zeugnisses für das komplettierte erste Ausbildungsjahr somit erstmals in meinem Leben offiziell ein bedeutsamer Leistungsnachweis überreicht wurde, der auf „Frau Sonja U.“ lautet.

Über das vermittelte Prüfungs- und Praxiswissen hinaus hat die Zeit in der Berufsschule für mich dabei jedoch – wie es bereits in meinen vorherigen Beiträgen hier anklang – noch eine weitaus größere persönliche Bedeutung behalten. Denn es ist eben faktisch das erste Umfeld von Dauer, in dem ich spürbar ausschließlich als gewöhnliche Cisfrau wahrgenommen und behandelt wurde. Weswegen sich fortan insbesondere der Umgang mit meinen Mitschülerinnen von vornherein denkbar unbeschwert gestaltete. Während ich es bis heute zeitweise echt kaum fassen kann, dass mir die anderen Mädels über so einen langen Zeitraum hinweg offenbar nicht angesehen und/oder sonst wie angemerkt zu haben scheinen, dass ich trans* bin. Faszinierend.

Beziehungsweise fast so faszinierend, wie dass mich meine Mitschülerinnen nach den Sommerferien in anonymer Abstimmung bzw. ohne jegliche Vorfrage „wer denn möchte…“ zur neuen Klassensprecherin gewählt haben. Ich war daraufhin jedenfalls beides, fühlte mich durch das geschenkte Vertrauen total geehrt (mit mir sind wir in diesem zweiten Ausbildungsjahr 16 Schülerinnen in der Klasse; will nebenbei also heißen, dass wir selbst in der Zwischenzeit keinen einzigen Jungen in der Klasse dazu bekommen haben…) und war zugleich für den Moment vollkommen perplex.

Okay, streng genommen müsste ich meine Klassenkameradinnen selbstverständlich ausdrücklich darauf ansprechen, wenn ich gesichert würde wissen wollen, ob sie meinen trans*-Hintergrund zwischenzeitlich nicht vielleicht doch erkannt haben. Doch angesichts der Tatsache, dass die freilich äußerlich zweifelsohne nach wie vor sichtbaren Spuren meines persönlichen „männlichen Migrationshintergrundes“ selbst meiner Sitznachbarin und Freundin Caro in unseren vermehrt stattfindenden gemeinsamen Unternehmungen außerhalb der Berufsschule nicht auffielen, spricht wohl alles dafür, dass es den anderen Mädels da nicht anders gegangen sein wird.

Der Grund warum ich um Letzteres weiß, führt derweil umgehend zu einem weiteren rundum schönen Thema dieses Updates, nämlich dass ich in der Klasse mit Caro unerwartet auch erstmals in meinem Leben eine erste (wenn man so will) richtig originäre Frauenfreundschaft schließen durfte. Denn Caro, die es selbst nach vorherigem geisteswissenschaftlichem Studium an der Kölner Uni mit Mitte zwanzig in die ReFa-Ausbildung und damit ans Berufskolleg verschlagen hatte und ich, wir hatten ohne Übertreibung vom ersten gemeinsamen Schultag an einfach einen total guten Draht zueinander. Wurden anschließend zu nahezu unzertrennlichen Tischnachbarinnen und unternahmen mit der Zeit eben konsequenterweise auch nach Unterrichtsschluss eben immer mehr gemeinsam.

Und je enger unser Kontakt zueinander wurde, umso mehr wuchs in mir das Bedürfnis – wohlgemerkt ohne bis dahin Gewissheit gehabt zu haben, ob sie oder etwa auch ihr fester Freund, mit dem sie zusammen wohnt, mein gewisses Anderssein nicht doch längst bemerkt hatten – mich ihr in der Sache einmal mitzuteilen. Denn über alles (!) reden zu können, das ist es doch, was eine richtige Freundschaft ausmachen sollte, nicht wahr? Und Passing hin oder her, wer will schon ein nervenaufreibendes Versteckspiel vergangener Tage im engsten privaten Umfeld dauerhaft gegen ein anderes eingetauscht haben?!

Mit jener sich anbahnenden Aussprache war es letztlich dann vergangenen Juli noch vor den Sommerferien soweit und das damalige Vieraugengespräch, was sich zwischen mir und Caro völlig ungezwungen an einem schon vom Wetter her Bilderbuchmäßigen Sommertag am Kölner Rheinufer ergab, werde ich immer im Herzen tragen.

Seitdem weiß ich jedenfalls, dass mich meine mir echt ans Herz gewachsene Banknachbarin in der Tat für eine gebürtige Frau, wie sie selbst eine ist, hielt, ohne dass jene neuen Erkenntnisse aber etwas an ihrer Wertschätzung von mir als Freundin geändert hätten. Begleitet davon, dass Caro das Ganze seitdem vorbildlich für sich behielt. Ein Umstand, auch dank dem es im Hinblick auf die anderen Mädels in der Klasse bis heute so geblieben ist, dass die spürbar nicht infrage stellen, dass mein Geburtsgeschlecht ein anderes gewesen sein könnte als das, in dem sie mir seit unserem gemeinsamen Ausbildungsbeginn erstmals begegnet sind. Mehr noch, ich möchte fast meinen, dass es mir seit jenem Coming-out unter, im Vergleich zu früher, gewissermaßen „umgekehrten Vorzeichen“ vergönnt war, im Berufsschulumfeld sogar irgendwie das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Indem ich nämlich neben der Ausbildungsgangleitung auch für meine Freundin Caro als trans* sichtbar und vollkommen akzeptiert bin, für alle anderen jedoch fortwährend augenscheinlich als beliebige Cisfrau durchgehe.

Versteht mich bitte nicht falsch. Ich habe kein Problem damit, entspannt und souverän zu mir zu stehen, wenn auch Fremde von sich aus merken oder gegebenenfalls durch Hinweise anderer Dritter spitz kriegen, dass ich trans* bin. Denn auch das habe ich über die letzten Jahre gelernt, wobei die öffentlichen Stammtischtreffen des Gendertreffs nur eine von vielen angenehmen Gelegenheiten dafür boten. Doch ich genieße diesen glücklichen Umstand einfach sehr, im Alltag ansonsten erfahrungsgemäß den Eindruck hinterlassen zu können, dass zwischen dem weiblichen Geschlecht, in dem ich mich heutzutage selbstbewusst präsentiere, und meinem Geburtsgeschlecht erst gar keine Abweichung existiert. Oder anders ausgedrückt, es ist schlichtweg eine gesondert wundervolle Erfahrung, sich in einem solchen Rahmen zur Abwechslung einmal gänzlich ungetrübt bzw. völlig unbeeinflusst vom eigenen trans*-Hintergrund im Identitätsgeschlecht erleben zu dürfen.

Als Nächstes wiesen erfreulicherweise auch in meinem sonstigen privaten Umfeld alle weiteren Entwicklungen unverändert weiter in eine positive Richtung.

Bei speziell einer meiner beiden „Stamm-Cliquen“ hatte ich mir insofern gerade zu Jahresbeginn sehr wohl eine ganze Zeit ernsthafte Sorgen gemacht, weil in dieser verglichen mit dem Vorjahr selbst mit dem rheinischen Karneval im Anmarsch nahezu keine Unternehmungen mit meiner Beteiligung angeschoben wurden. Doch wie sich später herausstellte, hatte diese als solche von mir registrierte, mangelnde Aktivität nichts mit meiner Person zu tun, sondern war schlichtweg Ausfluss davon, dass die Einzelnen dienstlich und/oder in sonstiger Weise derart im Stress waren, dass Cliquen-technisch in dieser Phase schlicht gar nichts an relevanten Unternehmungen stattfand.

Dass das von den Beteiligten nicht etwa nur beschönigende Worte waren, durfte ich übrigens spätestens daran festmachen, dass ich von einem zu ebenjener Clique gehörenden Pärchen zur deren Hochzeit im Juli ganz offiziell als Frau eingeladen wurde. Mit allem Drum und Dran. Was wiederum im Kontrast dazu stand, dass ich im Sommer des Vorjahres zu einer Hochzeit eines anderen Pärchens im erweiterten Freundeskreis noch ausdrücklich als Mann eingeladen wurde. Obwohl auch diese beiden Brautleute bereits von meinem trans*-Sein und ebenso davon wussten, dass ich unmittelbar vor Abschluss meiner Vornamens- und Personenstandsänderung sowie davor stand, künftig ein allumfassendes Leben in meinem wahren Identitätsgeschlecht zu beginnen. Weswegen das Ganze bei den betreffenden Hochzeitsfeierlichkeiten 2018 rückblickend letztlich schon mit einer relativ eigenartigen Situation für mich ein herging.

Aber selbstredend bekam ich es an jenem Sommertag zum einen dann ja doch wunschgemäß einmal mehr hin, unauffällig und ganz wie gewohnt „den Mann zu geben“. Und zum anderen wusste ich es alleine durch diese Erfahrung umso mehr zu schätzen, dieses Jahr ohne derartige Einschränkungen als Frau mit auf die Gästeliste gerutscht zu sein. Auf der im Übrigen natürlich auch Eltern, Großeltern, entfernte Verwandte sowie zugleich von weiter her stammende Freunde des Brautpaares standen und und und…

Sprich, gerade das Sich-Willkommen-Fühlen zu solch bedeutsamen Anlässen (von denen manche freilich trauriger Natur sind, wie z. B. Beerdigungen) sind es doch, die nach meiner Auffassung Ausdruck von wahrer Teilhabe sind und dafür, dass du in deinem sozialen Umfeld als Transmensch jenseits von sonstigen, schnell daher gesagten schönen Worten akzeptiert wirst. Ich finde es jedenfalls immer schlimm, hier vereinzelt davon lesen zu müssen, dass Manche(r) von Euch sich von alten Freund_innen offenbar Vorbedingungen anhören muss à la „Kannst gerne noch zu uns kommen. Aber bitte in gewohnter Geschlechterrolle. Denn sonst finden wir das peinlich. Und was sollen die Nachbarn denken?!“

Will unter Bezugnahme auf den vorherigen Eintrag in meinen Thread heißen, dass die in der Zwischenzeit wahrgenommenen Distanznahme mir gegenüber von einzelnen Freund_innen im Ergebnis überwiegend tatsächlich mehr Ausdruck einer benötigten Umgewöhnungsphase gewesen zu sein scheint, als dass dies die befürchtete Manifestierung einer von Einzelnen insgeheim empfundenen Ablehnung mir als sichtbarer Transfrau gegenüber oder ähnlichem gewesen wäre.

Ich weiß es in diesem Zusammenhang beispielsweise wahnsinnig zu schätzen, dass gerade die mir seit Kindertagen eng verbundenen männlichen Freunde mir insoweit bis hierhin nicht nur merklich gewogen blieben, sondern dass die Mehrzahl von ihnen es mittlerweile zur Begrüßung und zum Abschied insbesondere nicht mehr mit so einer (wenn ihr wisst, was ich meine) „Männer-Handshake-Umarmung“ bewenden lässt, sondern sie mich –ganz wie die anderen Mädels der Clique auch – dann mal kurz so richtig in den Arm nehmen. Denn das ist für mich exemplarisch eine dieser vordergründig total schlichten Mann-zu-Frau-Gesten, die dennoch manchmal echt mehr zu sagen vermögen als viele Worte.

Nur übertroffen von folgender Erfahrung, die ich Euch ebenfalls nicht vorenthalten möchte: Wir haben in meiner Stamm-Clique ein Pärchen, das sich trotz zweier gemeinsamer kleiner Kinder vor wenigen Jahren (für uns Außenstehende recht plötzlich) trennte und zwischenzeitlich scheiden ließ. Dabei blieben wir anderen in der Clique allesamt auch nach der Scheidung mit Beiden gut befreundet und die Kinder (die Tochter geht derzeit noch in die 4. Klasse, der Sohnemann ist dieses Jahr nach den Sommerferien eingeschult worden) leben nunmehr in wechselnden Abständen entweder bei Mama oder Papa. Wobei beide Elternteile jeweils bis heute wenige hundert Meter entfernt in demselben Dorf wohnen geblieben sind, in dem ich selbst aufgewachsen bin und in dem mein Elternhaus steht.

Das Besondere daran ist, dass in meinen Freundeskreisen einzig diese beiden Kinder alt genug sind, um „ihn“ zuvor noch bewusst kennengelernt zu haben. Der aus den anderen Partnerschaften meiner Cliquen hervorgegangene Nachwuchs war im Zeitpunkt der Umwälzungen im Vorjahr demgegenüber so jung, dass der sich absehbar später bestenfalls ausschließlich als Frau an mich erinnern wird.

Insofern hatte ich mir zugegeben schon eine Weile lang verunsichert die Frage gestellt, was in den kindlichen Köpfen jener beiden Sprösslinge wohl vorgehen mag, seit sie hautnah mitbekamen, dass jener (ich nenne es mal) vertraute Freund der Familie plötzlich nicht mehr als Mann, sondern entsprechend nur noch als Frau in Erscheinung trat.

In dieser Hinsicht kann ich heute stolz berichten, dass sich ein durch und durch positiver Befund ergab. Was ich indes mehr als alles andere entscheidend auf die Einflussnahme der mir beide seit jeher wohlgesonnenen Eltern zurückführe. Denn wenn nur einer von den Beiden ein echtes Problem mit mir nach meinem Coming-out gehabt und gegen mich gehetzt hätte, wäre es sicher nicht zu der nachfolgenden Geschichte gekommen.

So richtete Bianca, die Mutter der Kinder, Mitte des Jahres bei sich zu Hause einen weiteren dieser „klassischen“ Mädelsabende aus. Und bevor die Kids abends ins Bett geschickt wurden, die an dem Tag zufällig bei ihr weilten, war ich echt baff zu sehen, wie zugeneigt die sich gerade mir gegenüber verhielten. Ihre Tochter warb mitunter geradezu um meine Aufmerksamkeit und der Sohn hüpfte mir beim gemeinsamen Abendessen ganz plötzlich unbeschwert zum Kuscheln auf meinen Schoss. Ich erinnere mich nämlich noch lebhaft daran, dass selbiger Sohnemann mich keck in die Schulter boxte, als ich Mitte des Vorjahres das letzte Mal äußerlich als Mann bei seinem Papa im Wohnzimmer saß.

Wie mir Bianca, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, weitererzählte, war im Zuge der Bekanntgabe der Abendplanung samt Gästeliste gegenüber ihrer Tochter noch vor unserem Eintreffen in jedem Fall offenbar noch folgender, für mich bemerkenswerter Dialog zustande gekommen:

(Tochter) O.: „Oh, ist das DIE Sonja, die letztens auch auf Andreas Geburtstag war?“
(Mama) B.: „Ja, genau die.“
O.: „Cool!“
B.: „Du weißt aber schon, wie das ist mit der Sonja, oder?“
O.: „Ja, die ist zwar als Junge geboren, hat sich aber immer schon wie ein Mädchen gefühlt.“

Als ich das hörte, war ich ungelogen einen Moment total gerührt. Denn so groß die Vorzüge der weitläufig verbreiteten „im falschen Körper“-Kurzmetapher für TI auch sein mögen, es ist doch vielmehr exakt das, was diese gerade mal Zehnjährige in die vorstehende empathische Feststellung gefasst hat, worum es uns allen geht, oder?

Ich mag nach unseren gesellschaftlichen Anschauungen selbst nie besondere Errungenschaften vorweisen können und, im Gegenteil, letztlich in vielerlei Hinsicht scheitern im Leben. Doch es ist ein echt tolles Gefühl, insofern augenscheinlich dafür gesorgt zu haben, dass immerhin diese beiden Kinder auf einem in jeder Hinsicht (!) typischen Dorf schon mit einer Transperson im Bekanntenkreis aufwachsen und Menschen wie mich als sehr wohl geachteten und bereichernden Teil unserer Bevölkerung begreifen. Schließlich ist das etwas, dass das eigene bescheidene Dasein überdauern wird und später eine Bastion bilden kann gegen den rechten Rand, nach dem es offensichtlich irgendeinem anatomisch völkischen Ideal entsprechend nur biologische Männer und Frauen geben darf und der Rest [na ja, ihr wisst schon angeblich was und wo…] gehört.

Um diesen abermals ein bisschen lang geratenen Beitrag zu Ende zu führen, lasst mich überdies Folgendes festhalten: Zwar verblasst die Erinnerung daran, doch ich entsinne mich sehr wohl noch gut an den Zeitraum, wo ich tunlichst nicht von mir bekannten Menschen en-femme „erwischt“ werden wollte. Um angesichts der zu erwartenden Mitteilungskette der Sorte „Wenn X das mitbekommt, dann spricht er bestimmt mit Y darüber und die sagt es Z…“ usw. das Heft des Handeln vor allem nicht etwa ausgerechnet in jener kritischen Übergangsphase meines Weges hin zu einem allumfassenden Leben im Identitätsgeschlecht aus der Hand zu geben.

Ich möchte ferner würdigen, dass ich im Nachhinein bei meiner Transition bis hierhin auch sonst schlicht viel Glück gehabt habe. Schließlich stieß ich wider Erwarten selbst bei meinem Vater auf ungeahnte Akzeptanz. Mag dafür rückblickend auch lediglich die Basis bereitet haben, dass er mich als früheren Sohn – offen gesagt, wie den Rest der gegründeten Familie – nun nicht allzu sonderlich wertschätzte und es deswegen vergleichsweise leicht gefallen sein mag, von „ihm“ Abschied zu nehmen. Nichtdestotrotz finde ich es schön, dass wir, ich und mein Vater, z. B. bis heute regelmäßig gemeinsam Fußball schauen, obwohl ich heute doch durchgehend so anders ausschaue, wirke und klinge als früher. Plus, ich bekomme schon regelmäßig mit, dass er auch in seinem Freundes- und Bekanntenkreis zu mir steht und nicht etwa der Versuchung erlag zu versuchen, die Entwicklungen in dieser Sphäre peinlich berührt verbal unter den Teppich zu kehren oder ähnliches.

Ich nehme außerdem an, dass eine Cisperson uns Transmenschen kaum nachfühlen kann, wie es ist, ein Leben im Geburtsgeschlecht mit allen Konsequenzen aufzugeben, wie wir das bekanntlich in nicht geringer Anzahl tun. Und schäme mich nicht, dass ich selbst letztes Jahr noch verbliebene Zweifel hatte, ob diese nachhaltige Schaffung von Fakten (in Richtung, wie es bei uns im Gendertreff üblicherweise gerne genannt wird, „Frau in Vollzeit“) für mich persönlich denn wirklich der richtige Schritt war. In diesem Kontext kann ich Euch hier jedoch abschließend versichern, die Entscheidung für ein „24/7“-Leben als Frau bis heute nie bereut zu haben.

Am meisten liebe ich es nicht zuletzt, dass mich meine vertrauten Mitmenschen heute ausschließlich mit Anreden wie „Liebe Sonja“, „Hey Süße“ oder „Hallo meine Liebe“ anschreiben. Außerdem freue ich mich gefühlt jedes Mal wie am ersten Tag, wenn ich im Alltag von Fremden wieder eine Referenz mit „…die Dame“ zu hören kriege.

Will heißen, die gewissen Lebensumstände, die mir unverändert aufs Gemüt schlagen, die haben offen und ehrlich nichts mehr mit meiner gelebten Geschlechterrolle zu tun. Im Gegenteil, nie waren mir im Kleinen mehr schöne Momente vergönnt, als seit ich mir konsequent das Ausleben meines weiblichen Identitätsgeschlechts zugestanden habe, danach lebe und dazu stehe.

Kommt mir vorab allesamt heil auch über die nächste heranrückende Jahreswende, liebe Foren-Gemeinde, und vergesst in Anlehnung eines Beispiels wie meinem zu guter Letzt bitte nie, was für Transpersonen an ursprünglich gefühlt Unmöglichem doch zu in der Seele gut tuender Wirklichkeit werden kann.

Bis demnächst!

Eure Sonja

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