In Deutschland richten sich alle medizinischen Diagnosen nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, kurz ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Die ICD wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben und gilt als wichtigstes Diagnoseklassifikations- und Verschlüsselungssystem. Ärzte und medizinische Einrichtungen sind in Deutschland verpflichtet, Diagnosen nach der ICD zu verschlüsseln. Die jeweils aktuelle Version der ICD kann auf der Webseite des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information eingesehen werden.
Nach dem bisherigen veralteten ICD-Diagnoseschlüssel (ICD-10) wird die Trans*-Eigenschaft als Störung der Geschlechtsidentität (psychisch krank oder verhaltensgestört) bezeichnet. Der Begriff „Geschlechtsidentitätsstörung“ wird von vielen Trans*-Organisationen als unwissenschaftlich und unbewiesene Erfindung aus der Psychoanalyse kritisiert. Demnach würden wissenschaftliche Erkenntnisse vernachlässigt, nach denen weder Geschlechtschromosomen noch Genitalien eines Menschen eine eindeutige Aussage über das eigentliche Geburtsgeschlecht eines Menschen machen können. Da das biologische Geschlecht sehr komplex sei, sei die Darstellung der Psychoanalyse, nach der die Psyche von Trans*-Personen von einem „biologischen Geschlecht“ abweiche nicht haltbar. Ebenso wird die daraus resultierende Abwertung der Transidentität als psychische Störung kritisiert. Kritiker sehen den Begriff „Geschlechtsidentitätsstörung“ zudem als Hauptauslöser für weltweite Transphobie, Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen. Hier wird vor allen auf die Gefahr verwiesen, dass viele Staaten in ihrer Gesetzgebung unwissenschaftliche Geschlechterklischees übernehmen, die indirekt oder direkt mit ideologischen Begriffen wie der Geschlechtsidentitätsstörung oder Geschlechtsumwandlung in Verbindung zu bringen sind. Aus eigener Beobachtung des Gendertreff e.V. lässt sich konstatieren, dass sich Trans*-Menschen in ihrer eigenen Wahrnehmung nicht als psychisch krank oder verhaltensgestört empfinden. Die Einordnung in das ICD-Diagnosesystem (ICD-10) unter das Kapitel „Psychische und Verhaltensstörungen“ (F00-F99) bzw. die Rubrik „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ (F60-F69) erscheint insofern problematisch.
2018 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das ICD-11. Das ICD-11 wurde 2019 durch die Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) verabschiedet. Seit Januar 2022 ist nun auch der ICD-11 in Deutschland maßgebend. Eine für transidente Menschen neue Abteilung beschäftigt sich mit Störungen der sexuellen Gesundheit. Dazu gehören neben Libido- und anderen sexuellen Funktionsstörungen auch Geschlechtsidentitätsstörungen, die bisher unter den mentalen Störungen eingeordnet wurden, was nicht mehr zeitgemäß ist. Das bedeutet, dass die Transidentität nicht mehr als psychische Störung angesehen wird sondern als „Geschlechtsinkongruenz“ (Nichtübereinstimmung oder Nichtzusammenpassend).
Geschlechtsinkongruenz steht somit als das neue offizielle Wort für Transsexualität/Transidentität. Bei transidenten Menschen stimmen das körperliche und das seelische Geschlecht nicht überein, sie sind also „inkongruent“. Es gibt Frauen mit einem Männerkörper (Transfrauen) und Männer mit einem Frauenkörper (Transmänner).
Geschlechtsinkongruenz: Geschlechtsinkongruenz ist die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Zuweisungsgeschlecht und der Geschlechtsidentität.
Geschlechtsdysphorie: Geschlechtsdysphorie ist das Leiden an der Inkongruenz zwischen den körperlichen Geschlechtsmerkmalen und der Geschlechtsidentität.
HA60 - Geschlechtsinkongruenz bei Heranwachsenden und erwachsenen Personen:
Die geschlechtsspezifische Inkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter ist gekennzeichnet durch eine deutliche und anhaltende Inkongruenz zwischen dem erlebten Geschlecht einer Person und dem zugewiesenen Geschlecht, was sich in mindestens zwei der folgenden Merkmale manifestiert:
1) starke Abneigung oder Unbehagen gegenüber dem primären oder sekundären Geschlecht Merkmale (bei Jugendlichen antizipierte sekundäre Geschlechtsmerkmale) aufgrund ihrer Inkongruenz mit dem erlebten Geschlecht
2) ein starker Wunsch, einige oder alle primären und/oder sekundären Geschlechtsmerkmale (bei Jugendlichen antizipierte sekundäre Geschlechtsmerkmale) loszuwerden, da sie nicht mit dem erfahrenen Geschlecht übereinstimmen
3) ein starker Wunsch, die primären und/oder sekundären Geschlechtsmerkmale des erfahrenen Geschlechts zu haben. Das Individuum verspürt ein starkes Verlangen, als Person des erfahrenen Geschlechts behandelt zu werden (zu leben und akzeptiert zu werden). Die erlebte Geschlechtsinkongruenz muss seit mindestens mehreren Monaten ununterbrochen vorhanden sein. Die Diagnose kann nicht vor Beginn der Pubertät gestellt werden. Geschlechtsspezifisches Verhalten und Präferenzen allein sind keine Grundlage für die Zuordnung der Diagnose.
HA61 - Geschlechtsinkongruenz bei Kindern vor der Pubertät:
Die Geschlechtsinkongruenz der Kindheit ist gekennzeichnet durch eine deutliche Inkongruenz zwischen dem erlebten/ausgedrückten Geschlecht einer Person und dem zugeordneten Geschlecht bei präpubertären Kindern. Es beinhaltet einen starken Wunsch, ein anderes Geschlecht als das zugewiesene Geschlecht zu haben; eine starke Abneigung des Kindes gegenüber seiner sexuellen Anatomie oder erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmalen und/oder ein starkes Verlangen nach den primären und/oder erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmalen, die dem erfahrenen Geschlecht entsprechen; und Fantasie- oder Fantasiespiele, Spielzeug, Spiele oder Aktivitäten und Spielkameraden, die eher für das erfahrene Geschlecht als für das zugewiesene Geschlecht typisch sind. Die Inkongruenz muss etwa 2 Jahre andauern. Geschlechtsspezifisches Verhalten und Präferenzen allein sind keine Grundlage für die Zuordnung der Diagnose.
HA6Z - Geschlechtsinkongruenz, nicht näher bezeichnet:
HA8Y - Andere spezifische Bedingungen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit:
HA8Z - Bedingungen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit, nicht näher bezeichnet:
Die verschiedenen Ebenen des Geschlechts:
Die Ebene der Geschlechtschromosomen
46,XX und 46,XY; genetisches Geschlecht
Die Ebene der Keimdrüsen
Eierstöcke und Hoden; gonadales Geschlecht
Die Ebene der Geschlechtshormone
Östrogene, Progesteron, Testosteron etc; hormonelles Geschlecht
Die Ebene der anatomischen primären und sekundären Geschlechtsunterschiede
Innere und äußere Geschlechtsorgane, sekundäre Geschlechtsmerkmale; körperliches Geschlecht
Die Ebene der zerebralen Geschlechtsunterschiede
Geschlechtsdifferente Hirnstrukturen, unterschiedliche Einflüsse durch die Geschlechtshormone im Gehirn; zerebrales Geschlecht
Die Ebene des psychischen Geschlechts
Geschlechtszugehörigkeitsempfinden, Geschlechtsidentitätsgefühl
Als diagnostische Kriterien für GD bei Jugendlichen und Erwachsenen im DSM-5 gelten:
A. eine seit mindestens sechs Monaten bestehende ausgeprägte Diskrepanz zwischen
Gender und Zuweisungsgeschlecht, wobei sechs Einzelkriterien angeführt werden, von
denen mindestens zwei erfüllt sein müssen, sowie
1. Ausgeprägte Diskrepanz zwischen Gender und den primären und/oder sekundären
Geschlechtsmerkmalen (oder, bei Jugendlichen, den erwarteten sekundären Ge-
schlechtsmerkmalen).
2. Ausgeprägtes Verlangen, die eigenen primären und/oder sekundären Geschlechts-
merkmale loszuwerden (oder, bei Jugendlichen, das Verlangen, die Entwicklung der
erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmale zu verhindern).
3. Ausgeprägtes Verlangen nach den primären und/oder sekundären Geschlechtsmerk-
malen des anderen Geschlechts.
4. Ausgeprägtes Verlangen, dem anderen Geschlecht anzugehören (oder einem alterna-
tiven Gender, das sich vom Zuweisungsgeschlecht unterscheidet).+
5. Ausgeprägtes Verlangen danach, wie das andere Geschlecht behandelt zu werden
(oder wie ein alternatives Gender, das sich vom Zuweisungsgeschlecht unterschei-
det).
6. Ausgeprägte Überzeugung, die typischen Gefühle und Reaktionsweisen des anderen
Geschlechts aufzuweisen (oder die eines alternativen Gender, das sich vom Zuwei-
sungsgeschlecht unterscheidet).
B. ein klinisch relevantes Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder an-
deren wichtigen Funktionsbereichen.
Das DSM-5® ist ein weltweit anerkanntes und etabliertes Klassifikationssystem für psychische Störungen. Das Manual bietet ausführliche Beschreibungen für alle offiziellen DSM-5-Störungsbilder sowie Informationen zu in Entwicklung befindlichen Instrumenten und Modellen.